Für meinen monatlichen Blogbeitrag habe ich wieder das Format des Buchbranchenportraits gewählt, denn in diesem Jahr hat es noch kein „Bookprofil of five Points“ gegeben. Eine Neuerung hat sich auch ergeben, denn der ausgewählte Buchbranchenteilnehmer, sollte nun selbst ein wenig zu Wort kommen dürfen.
Es erwartet euch Michael aus Nürnberg, der seit 25 Jahren leidenschaftlicher Buchhändler ist und den ich dieses Mal interviewen durfte.
Du bist gern und mit Leidenschaft Buchhändler. Wann fing deine Leidenschaft für Bücher an und wie kam es dazu, dass du Buchhändler geworden bist?
Die Leidenschaft fürs Lesen hat bei mir in der Kindheit und Jugend bis ins junge Erwachsenenalter eine große Rolle gespielt. Besonders im Gedächtnis ist mir ein klassischer ungarischer Abenteuerroman in der deutschen Fassung geblieben: Geza Gardonyi: Die Sterne von Eger. Den habe ich mit der Taschenlampe unter der Decke gelesen. Da meine Mama Ungarin ist, verband mich schon früh eine Beziehung zum Land und zu der Geschichte Ungarns. Deshalb mochte ich auch diesen Abenteuerroman, der im 16. Jahrhundert spielt und der die türkische Vorherrschaft zum Thema hat sowie zahlreiche Landschaftsbeschreibungen enthält. Auch die Schullektüre von Ibsen, Hauptmann über Thomas Mann bis Kafka haben mich in ihren Bann gezogen. Später waren es ungarische Autoren, wie Sandor Marai, Imre Kertész und Peter Nadas, und die französische Literatur mit Marcel Proust, Claude Simon und Robert Pinget. Übers Lesen bin ich auch zum Beruf des Buchhändlers gekommen.
Aus einer persönlichen Lebenskrise heraus brach ich mein Studium ab und bin mit 25 Jahren Buchhändler geworden. Quasi ein Knick im Lebenslauf. Ich hatte zuvor schon in einem Verlag gejobbt, wo ich redaktionelle Arbeiten erledigte und etliche Texte geschrieben und korrigiert habe, so dass ich mein Interesse über das Schriftgut zum Buch entwickelt habe. Zudem wollte ich täglich mit Menschen zu tun haben, ich schätzte auch damals schon den kommunikativen Austausch und die Lust am Lesen und an Büchern. Eher in die Richtung über Bücher kultivierend und formend tätig zu sein. Hugendubel war dann die erste Buchhandlung in Nürnberg, in der ich schließlich anfangen durfte, nachdem ich mich auch bei Campe und Edelmann beworben hatte.
In verschiedenen Buchhandlungen warst du über die Jahre bereits tätig. In welcher Buchhandlung hat es dir am besten gefallen, deiner Arbeit nachgehen zu dürfen?
Die Antwort ist: In der Buchhandlung Jakob. Ich habe als Schwangerschaftsvertretung in Vollzeit bei Albrecht Jakob, dem damaligen Inhaber der Buchhandlung angefangen und war dort über fünf Jahre tätig. Trotz krisenhafter Strukturen und sehr schwieriger Arbeitsbedingungen habe ich in dieser Buchhandlung sehr gerne, mit lustgewinnlerischem Ehrgeiz und hohem persönlichem Einsatz gearbeitet. Der Grund lag darin, dass ich mich hier mit vielen neuen Ideen und einem hohen Maß an Kreativität strategisch und am Ende erfolgreich einbringen und entfalten konnte. Als Buchhändler das Gefühl zu haben, etwas bewirken zu können, ist mir auch jetzt noch ein wichtiges Anliegen.
Vom topmodern ausgerichteten Buchhandel bei Hugendubel kommend und mit einem zeitgemäßen Wissen über rationale Sortimentsgestaltung, moderner Warenpräsentation und dünkelfreier Aufgeschlossenheit im Gepäck bin ich in dieser klassischen Buchhandlung nach altem Stil eingetaucht. Mir ist schnell aufgefallen, dass es der Stammkundschaft hier gefallen hatte, in engen Regalen und Gängen vor allem nach vergriffenen Büchern zu stöbern. Es gab wenig Auslagen und nachdem der Hintereingang renoviert wurde, musste der hintere Bereich der Buchhandlung unbedingt aus seinem staubstarren Dornröschenschlaf erweckt werden. Über meine Ideen und Vorschläge setzte ich mich mit Herrn Jakob zusammen und gemeinsam haben wir sehr viel umgekrempelt. Der hintere Bereich der Buchhandlung wurde entschlackt und neu strukturiert, die voluminöse Reisebuchabteilung zog aus dem 1. Stock um ins größere Erdgeschoss, so dass sich das Kochbuch wie die Natur- und Gartenabteilung im ersten Stock – mitunter durch das Entfernen von Buchregalen vor den Außenfenstern – sichtbar entfalten konnte. Das wichtigste Ergebnis dieser Veränderungen war, dass der schönste und größte Raum der Buchhandlung, der hintere Bereich im Erdgeschoß, mit dem umsatzstarken Reisebuch nun attraktiv, klar und modern gestaltet worden war.
Im Zeitalter der Digitalisierung werden immer mehr Bücher übers Internet verkauft. Was muss ein Buchhändler deiner Meinung nach für Fähigkeiten mitbringen, damit Kunden immer wieder in die stationäre Buchhandlung kommen?
Klar haben die Vorteile übers Internet zu bestellen zugenommen. Doch, meiner Meinung nach, muss man als Buchhändler sein Handwerkszeug beherrschen und mit seiner Person punkten, charmant sein, aber nicht zu intellektuell auf den Kunden wirken, über Fachwissen in seinem Buchbereich verfügen sowie Beratungskompetenz besitzen, viel Kundenempathie mitbringen und gut in Profilsichtung sein. Gegenüber den letzten beiden Punkten heißt dies, dass der Kunde auch den Buchhändler einschätzt, wie beispielsweise der ist nett, der kommt auf mich zu und begrüßt mich, wenn ich das Geschäft betrete. Andersherum braucht der Buchhändler auch ein gewisses Gefühl für die kurze und lange Leine beim Kunden. Man sollte nicht genervt oder gestresst sein bzw. man darf keine patzigen Antworten geben, wenn konkrete oder gezielte Kundenfragen kommen. Dies kann schnell passieren, wenn man auf großen Flächen ganz alleine ist oder nur zwei Mitarbeiter da sind, die eher mit anderen buchhändlerischen Arbeiten, als den Kunden zu bedienen, beschäftigt sind. Als kompetenter Buchhändler sollte man den Vollbedienungsservice gegenüber dem Kunden nicht gleich vollends ausschöpfen, denn je nach Kundenverhalten sind Mischformen des Bedienens vom Kunden abhängig zu machen. Der ein Kunde möchte eher lange stöbern wollen und ein anderer Kunde ist froh, gleich einen Ansprechpartner nach kurzer erfolgloser Suche vorzufinden.
Es gibt immer weniger Buchhandlungen. Welche positiven wie negativen Entwicklungen hast du bisher über die Jahre im Buchhandel beobachten können?
Negative Entwicklungen sind: Die Konkurrenz und die Vertriebssituation mit der Verschiebung ins Internet und dem Umgang damit. Ich habe festgestellt, dass auf Veränderung und evolutionäre Innovationen nicht selten mit Trotz, Starrheit, Ignoranz und fehlender Bereitschaft, etwas Neues zu denken, anzunehmen, anzugehen und umzusetzen, reagiert wird. So werden Schaufensterflächen einfach nicht mehr genutzt, es gibt weniger Thementische, die auch im Schaufenster repräsentiert werden und Fensterflächen werden zunehmend mit großen Aufklebern versehen. Es wird zu wenig über notwendige und auch mögliche Veränderungen in der Sortimentsgestaltung (Profilschärfung, Erweiterung, Nischen etc.) nachgedacht.
Positive Entwicklungen gibt es: Kundenbindung, Beratungskompetenz und ein strukturiertes Bedienungskonzept gehören im Internetzeitalter genauso zum Handwerkszeug des Buchhändlers wie ein modernes Marketing und ein zeitgemäßer Auftritt in den sozialen Netzwerken. Ganz zu schweigen von der eigenen Website (und deren Gestaltung). Und wenn möglich: Lesungen bzw. Veranstaltungen. Viele – auch gerade kleinere – Buchhandlungen haben hier schon gute Ansätze.
Mein Fazit: Zu viele Buchhandlungen bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück. Auf Großflächen muss der Kunde – möchte er nicht einfach stöbern – das Personal oft suchen. Ein Vorteil für kleinflächige Buchhandlungen.
Jeder Buchhändler hat seine eigenen Vorstellungen, wie eine gut funktionierende Buchhandlung zu sein hat. Wie sieht deine ideale Buchhandlung aus?
Für meine ideale Buchhandlung muss natürlich erst einmal der Standort stimmen. Eine 1a-Lage muss man sich leisten können, aber Frequenz ist selbstverständlich wichtig: Lauf- oder Zielkundschaft, am besten beides. Kundenbindung muss möglich sein, beispielsweise in einem sympathischen Stadtteilviertel (mit bildungsnahen Menschen) bzw. einem Szeneviertel in einer Großstadt.
Die Buchhandlung sollte, meiner Meinung nach, eine gewisse Größe haben, recht offen sein, über ein Erdgeschoss und einen ersten Stock verfügen, lichtdurchflutet und übersichtlich sein, eine ansprechende Außen- und Innenarchitektur vorweisen und kann auch Mischkonzepte, z. B. mit Bistrocharakter, haben.
Das Verkaufsangebot hat bei mir verschiedene Aspekte berücksichtigen. Eine Mischung aus Vintage und Klamotten, Büchern und Medien sowie Gastronomie finde ich toll. Ebenso sind lieferbare Bücher und ausgewähltes Antiquariat nebst Non-Book-Artikeln für Impulsgeschäfte von Bedeutung. Moderne Konzepte und Trends sind einzubeziehen. Man sollte als Kunde das Gefühl haben, dass sich durch das ganze Konzept des Buchladens ein roter Faden zieht.
Ich denke, für ein ideales Buchgeschäft ist es wichtig, seine Stärken zu fokussieren (Stärken stärken, Schwächen schwächen). Bei einem betriebswirtschaftlich funktionierenden Stärkenprofil sollte oder kann ich dann über Nischen und Farbtupfer nachdenken. Aus meiner Erfahrung heraus wirft eine Warengruppe allein – selbst die Belletristik – zu wenig ab. Doch Belletristik, Kinderbuch, Reise- und Kochbuch – mit ausgewähltem Non-Book – stellen beispielsweise ein rundes Warenkonzept dar, um ein heterogenes Kundenumfeld zu schaffen.
Danke, Michael, für die Einblicke in den Buchhandel, wie er aus deiner Sicht ist! Ich freue mich, auch in Zukunft mit dir noch anregende und inspirierende Gespräche zu diesem Thema führen zu können.
Ich bin auch aus Nürnberg und stöbere sehr gern in Buchhandlungen. Ich bin auch dafür, Buchhandlungen vor Ort zu unterstützen, denn sonst haben wir sie bald nicht mehr.