Der Duden ignoriert gebräuchliche Wörter

Ich stolpere stets über Wörter, welche nach einiger Zeit über den deutschen Sprachgebrauch eine breite Verwendung finden. Hierbei ist mir aufgefallen, dass sie unterschiedliche Schreibweisen annehmen, aus Fremdsprachen stammen und eine ähnliche bzw. neue Bedeutung annehmen, mehrere Artikel aufweisen oder schlichtweg nicht im Duden zu finden sind. Deshalb habe ich einen kleinen Test gemacht, um herauszufinden, weshalb dies so ist bzw. aus welchem Grund das eine oder andere Wort weniger bis eher selten verwendet wird. Und vor allem wollte ich wissen, ob es Wörter gibt, die vielfach in unserem Alltag zu lesen und zu hören sind, aber dennoch nicht im Duden stehen.

Meine Favoriten

In meinem Experiment anhand der Dudenausgabe in der 27. Auflage begann ich mit der Vorüberlegung zu verschiedenen Untersuchungsschwerpunkten. Zuerst nahm ich mir die rein deutschsprachigen Wörter vor. Mich interessierten hier jene, die mir in den letzten Monaten oft über den Weg gelaufen waren. Darunter sind unter anderem Kundenbewertung (stammt aus dem Marketingbereich), Du-Kultur bzw. Duz-Kultur (kommt aus der Berufswelt), Buchbranche und Literaturveranstaltung gewesen. Mit Erstaunen musste ich feststellen, dass diese Substantive nicht im Duden zu finden sind. Besonders bei der Buchbranche ist diese Tatsache für mich unverständlich, denn es gibt sie schon einige Jahrhunderte. Interessehalber suchte ich im Duden noch nach Namen anderer Branchen, wie Automobilbranche, Bankenbranche, Gesundheitsbranche usw. Die Tourismusbranche und die Lebensmittelbranche waren meine beiden Treffer. Bei letzterem Begriff war dies für mich ebenso wenig nachvollziehbar, da sie seit Jahrzehnten als Lebensmittelindustrie in der deutschen Sprache eine feste Verwendung gefunden hat. Hier stellt sich mir die berechtigte Frage, welche Wörter im Duden stehen dürfen und welche nicht? Und nach welchen Auswahlkriterien dies erfolgt?

Laut dem Duden wird über die Redaktion des Dudenverlages ein Allgemeinwortschatz erfasst. Darunter fallen Erb-, Lehn und Fremdwörter sowie regional wie umgangssprachlich verbreitete Begriffe und Fachwörter nebst Eigennamen und Abkürzungen. Bei Aufnahmen in eine neue Ausgabe des Nachschlagewerkes, werden Zeitungen, Romane und Sachtexte herangezogen, aus denen die Häufigkeit und die Verbreitung von Wörtern ermittelt wird. Dabei werden die Schreibweise und grammatische Besonderheiten berücksichtigt. Und Wörter, die nicht im Duden stehen sind auch weniger gebräuchlich bzw. es gibt sie nicht.

Dies lässt schließen, dass eher die verschriftlichte Sprache nach Neuaufnahmen untersucht wird. Mündliche Begrifflichkeiten werden eher ausgeklammert. Doch wenn ein Wort vermehrt niedergeschrieben wurde, heißt das meiner Ansicht nach noch lange nicht, dass es auch richtig geschrieben und mit der korrekten Grammatik angewendet wurde.

Stolpersteine

Nach dieser Erkenntnis direkt aus dem Duden wandte ich mich den weniger häufig verwendeten Wörtern zu, deren verschiedenartige Schreibweise, dennoch dasselbe aussagt. Wie unter anderem Berichtwesen oder Berichtswesen (aus der Informatik), Personalmarketing oder Personalmarketingmaßnahmen sowie Top-Arbeitgeber oder Toparbeitgeber und Top-Weiterbildung oder Topweiterbildung. Das Resultat auch hier: Fehlanzeige, nicht im Duden nachzulesen! Ich möchte möglichst eindeutig wissen, ob ich Berichtwesen mit einem oder ohne einem s zwischen den beiden zusammengesetzten Substantiven zu schreiben habe oder ob es beide Wörter in unterschiedlichen Kontexten gibt. Zudem wäre es hilfreich zu verstehen, ob ich auf der Grundlage von topqualifiziert, das im Duden nachzulesen ist, vorrangig eine Schreibweise ohne Bindestrich erforderlich macht bzw. die Wortverbindungen mit Bindestrich ebenso in der deutschen Rechtschreibung angewendet werden dürfen.

Aus einer Sprache oder eine Mischsprache

Leider ist dies nicht das Ende der Liste an Wörtern, die nicht im Duden stehen. Ich habe mir die fremdsprachlichen und gemischtsprachlichen Begrifflichkeiten vorgenommen. Entweder stammen sie aus anderen Sprachen, wie zum Beispiel Marketing Manager, der wie andere englische Stellenbezeichnungen immer mehr in deutschen Stellentiteln zu lesen ist. Oder sie werden aus mindestens zwei Sprachen neu zusammengesetzt, wie Cafébar oder Coffeebar. Beide leider auch nicht im Duden nachzuschlagen, jedoch findet sich Coffeebar im Onlineduden unter dem Punkt „Schreibung von zusammengesetzten Substantiven“ und wird hier ausdrücklich erwähnt nicht in Coffee Bar getrennt.

Fremdwörter wie du jour (aus der französischen Sprache), Retikül, die Abkürzung i. e. und sculpsit (aus der lateinischen Sprache) suchte ich anschließend. Alle zu finden! Wow, welch ein Glücksgefühl! Es steht mal was im Duden! Zu dem selten gebrauchten Begriff Retikül aus der Modegeschichte weiß ich zufällig, dass es sich um eine kleine beutelartige Damenhandtasche fürs Handgelenk handelt, die Ende des 18. Jahrhunderts aufkam. Und i. e. ist mir bisher ein- bis zweimal unter die Augen gekommen und stellt zudem keine deutschsprachige Abkürzung dar, sondern steht für id est und heißt wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt „es ist“. Meint also so viel wie „dies ist“ oder „das heißt“. Der kunstgeschichtliche Fachbegriff sculpsit ist der Zusatz für die Stecher von Kupfer- oder Stahlstichen. Dieses Wort gehört für mich in ein Fachwörterbuch, aber nicht in den Duden.

Die längsten Wörter

Einen enorm wichtigen Fakt muss ich unbedingt noch loswerden, der leider in den letzten Jahren durch die Anwendung von Anglizismen immer mehr in den Hintergrund tritt. Die deutsche Sprache besitzt eine Besonderheit gegenüber anderen Sprachen: Das Zusammensetzten von Substantiven, solange sie meiner Meinung nach auch ein sinnvolles Konstrukt ergeben, lässt neue Nomen entstehen. Vor allem im mündlichen Sprachgebrauch oder in der Umgangssprache, aber auch im juristischen wie fachspezifischen Bereich geschieht dies häufiger als gedacht. Zudem sind hierbei verwendete Kopplungsstriche bei der Erfassung des Wortsinnes oft von störender Natur. Manchmal muss ich zwei- oder dreimal nachlesen, bevor ich genau weiß, was über die Kopplungen von Begriffen gemeint ist. Seltener wird damit ein besseres Verständnis vermittelt. Oft sind diese Wortschöpfungen der Umgangssprache entnommen und führen zu Recht langen unverständlichen Wörtern.

Ein ganz besonderes Wörtchen, das mir aus der Sendung mit der Maus im Gedächtnis geblieben ist, ist die Gleisschotterbettungsreinigungsmaschine. Es stellt für mich den längsten Begriff ohne Bindestrich dar! Die zehn längsten Wörter auf Seite 152 im Duden kannte ich, bis ich sie gelesen hatte, nicht und ergaben für mich oft kaum einen vernünftigen Sinn. Übrigens habe ich mir erlaubt im Nachschlageteil nach ihnen zu suchen. Wie von mir vermutet, keines auszumachen und Nummer 4 ist auch nur Kauderwelsch.

Eindeutig? Nein, Zweideutig!

Und zum Schluss noch etwas, was mir in Gesprächen mit meinen Mitmenschen oder in unterschiedlichen Textsorten bewusst geworden ist. Manchen aus Fremdsprachen entlehnte gängige Substantive wird ein anderer Artikel vorangestellt. Cola oder Ketchup sind in meinem Sprachgebrauch mit „die Cola“ und „der Ketchup“ vertreten. Leider aus dem Englischen stammend, kann man diese auch mit dem Artikel „das“ in Verbindung setzen. Klingt in meinen Ohren und in meinem Kopf aber sehr seltsam.

Fazit

Der kleine Test hat gezeigt, dass es für mich als Buchwissenschaftlerin und Lektorin beim Schreiben oder bei der Korrektur von Texten essentiell ist, im Duden zahlreiche Wörter mit der richtigen Schreibweise und dem angemessenen grammatikalischen Gebrauch nachlesen zu können. Auch wenn einige Begriffe dort nicht stehen, ist es von enormer Bedeutung, an einer korrekten Schreibung festzuhalten und die verschriftlichte Sprache vor einer Verrohung zu bewahren.